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  • AutorenbildMarie-Louise

Au Pair als Selbstfindungsreise?

"Ein Jahr im Ausland zu leben wird dir zeigen wer du wirklich bist." Nun gut, ich bin jetzt seit knapp 10 Monaten hier und so langsam wäre es recht interessant zu wissen wer ich denn wirklich bin.


Das Leben als Au Pair ist ein ständiges Pingpong Spiel. Zwischen Selbstfindung und Selbstdruck jongliere ich meine Gefühlswelt ohne wirklich zu wissen wann die Turnstunde denn vorbei ist. Unter der Woche liegt der Fokus auf den Kindern, da gibt es nur Marie-Louise das Au Pair. Von 07:00 - 20:00 Uhr. 5 Tage die Woche. Auf Social Media oder aus Erzählungen heraus mag das nicht sonderlich anstrengend klingen, aber wer teilt denn auch wenn ein Kind ein Tantrum in der Mall hat oder dir für 45 Minuten schreiend in den Ohren liegt? Die Schattenseiten, diese mühenden, schleppenden Stunden haben noch immer keinen Platz auf Instagram. Au Pair Jahr als Selbstfindungsreise? Unter der Woche eher mal nicht.

Doch am Wochenende. Da muss entfaltet sich die Seele. Alles grau wird ein Farbenspiel welches sich von einem tiefen, satten Senfgelb ins strahlende blau und pink verwandelt. Für 48 Stunden ist man eine wahrhaftige Person, welche nicht in Jogginghosen und einen 4-Tage-ungewaschendem T-Shirt weilt. Doch diese Regenbogenwelt gibt es leider auch nicht. Das Wochenende mag zwar kinderfrei sein, aber bedeutet das, dass ich mich jeden Samstag und Sonntag auf's Neue wieder entdecke? Hygienetechnisch, ja möglicherweise. Es ist wirklich erfrischend keine schmutzigen Kinderhände im Gesicht kleben zu haben und weiße Shirts zu tragen die sich meinem Hautton angleichen. Vielleicht findet man sich schneller wenn man ein Jahr in der Karibik oder auf Bali verbringt - aber nicht mit einem Haufen Kinder die als natürliches Verhütungsmittel dienen.


Doch das sagt mir immer noch nicht wer ich denn nun wirklich bin. Kann man das unter 45 Jahren wissen? Kann man das überhaupt wissen? Alle anderen haben doch schon ihren 10-Jahre-Vorsorgeplan.


Als ich Ende September in die Staaten geflogen bin, war ich der festen Überzeugung "mich selbst zu finden". Aber was heißt das eigentlich? Wenn es dich nicht stört, erzähl ich dir jetzt einfach mal was es für mich bedeutet. Und weil du jetzt schon deine Zeit damit verbracht hast bis hier zu lesen werde ich einfach mal weitermachen. Ich glaube das Zu-sich-selbst-Finden eine ständige Entwicklung ohne wirklichem Ende ist. Es wird immer wieder eine Herausforderung geben die einem an sich zweifeln lässt oder in Unsicherheit stürzt. Daraufhin muss die Entscheidung gefällt werden wie man damit umgeht.


Zuhause in Österreich war es mir immer unglaublich wichtig was die Leute von mir gehalten, gedacht und gesagt haben. In der Schule wollt ich es jedem Recht machen und hab daraufhin gewirkt als hätte ich keine eigene Meinung- und das war zu einem gewissen Grad auch so. Auf Partys hab ich die Leute erstmal alle analysiert um ja keinen auf die Nerven zu gehen und in der Stadt war ich mir nie sicher ob ich Bekannte einfach ansprechen / begrüßen soll oder das doch zu aufdringlich wäre. Es mag irrational klingen aber ich bin überzeugt, dass es weitaus mehr Leuten so geht. Wir können es auf die damals fehlende Selbstsicherheit schieben oder so tun als wäre ich die einzige auf die das zutrifft. Aber die Wahrheit ist, dass ich die Angst hatte einige meiner Freunde zu verlieren, wenn ich "zu sarkastisch", "zu ehrlich" oder "zu viel" über mir wichtige Themen wie bzw. die Umwelt gesprochen habe.

Was Denken sie dann von mir? Was passiert, wenn ich dann alleine dastehe?


Und jetzt kommt das Auslandsjahr ins Spiel: Niemand kennt dich. Es gibt keine Erwartungen zu füllen oder in ein bestimmtes Klischee zu passen - außer, dass alle ÖsterreicherInnen Tracht tragen und nur Mozartkugeln essen. In meinen ersten zwei Monaten hab ich mich nicht wirklich verändert, war immer noch ein Mitläufer und hab mich in größeren Gruppen eher zurückgehalten. Doch als ich alles belauscht habe ist mir aufgefallen, dass meine drei Freundinnen und ich grundlegend unterschiedlich sind und somit jede ihre Meinung erstmal mitteilen muss, damit wir uns anfreunden können.


Bis jetzt hat mir das Jahr nicht aufgezeigt wer ich wirklich bin, und das wird sich in Rest meiner 20-er auch nicht ändern. Aber es hat mir das Selbstbewusstsein gegeben ganz ehrlich zu sagen wer ich sein möchte und welche Werte mir wichtig sind. Ich habe in diesen 10 Monaten die Chance gehabt mir ungefiltert eine eigene Meinung zu bilden und erwachsener zu werden. Geändert hab ich mich mehr als erwartet. Zuerst wollte ich das gar nicht da es doch sein könnte, dass sich meine Freunde und ich in gegensätzliche Richtungen entwickelt haben. Doch was ist der Nutzen seine eigene Entwicklung zurückzuhalten um es anderen recht zu machen?


In einigen Aspekten merke ich, dass ich mich geändert habe. Ich bin wesentlich selbstbewusster geworden, habe dadurch gelernt, dass ich erst mit mir selbst im Einklang sein muss bevor ich das von anderen erwarten will. Vor jeder Reise, jedem Flug, jeder neuen Erfahrung merke ich wie meine Finger kribbeln und mir ein Schmunzeln auf den Lippen sitzt - seitdem ich hier bin, bin ich unglaublich dankbar geworden. Das ist aber nicht auf Besitztümer, sondern eher auf die Leute, Momente und Möglichkeiten in meinem Leben bezogen. Ich war noch nie so aufgeregt zu reisen und Neues zu versuchen. Dieser naive Gedanke, dass der Himmel erst der Anfang des Möglichen ist, klingt zwar immer noch unglaublich an den Haaren herbeigezogen, ergibt aber jetzt etwas mehr Sinn.

Ich hoffe auch, dass ich positiver und offener geworden bin. Das mir die kleinen Dinge größer erscheinen werden und dass ich mit meinen Erfahrungen einigen Leuten helfen kann.


Ob ich mich wirklich so viel verändert habe wie ich glaube, wird sich erst in 2 Monaten herausstellen aber bis dahin lebe ich einfach etwas länger in meiner kleinen Blase.

Das Au Pair Jahr ist mit Sicherheit keine Selbstfindungsreise aber es bietet die Möglichkeit sich mit einem selbst auseinanderzusetzen, wenn man ehrlich ist.


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